100 Jahre Bäckerei – Café Fischer

Gründer Philipp Fischer

 

Vater Ludwig Fischer

Im Jahre 1883 kam Philipp Fischer als erstes Kind des Bäckermeisters Ludwig Fischer und seiner Ehefrau Katharina, geb. Zirker, zur Welt. 3 Jahre zuvor gründete der Vater in der Friedhofstraße zwischen dem Pfarrhaus und „Färbers“, heute Foto Trauth, eine Bäckerei. In den folgenden 20 Jahren stellten sich weitere sieben Geschwister ein, immer schön im Wechsel Junge – Mädchen. Die Mutter verstarb kurze Zeit nach der Geburt des letzten Mädchens viel zu früh. Sie war im Ort wegen ihrer Gutherzigkeit sehr beliebt.

Philipp erlernte nach der Schulzeit bei seinem Vater das Bäckerhandwerk und erweiterte seine fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten in verschiedenen anderen Betrieben. Der Beruf des Bäckers war zu dieser Zeit noch eine harte Knochenarbeit, denn es mussten damals noch alle Teige von Hand geknetet werden und der Backofen wurde mit Holz geheizt.

um 1910

Nach der Heirat mit Frieda, geb. Brucker aus Offenbach, erbauten sie im Jahre 1908 die Bäckerei im Außerdorf. Der erste Backofen war ein „Altdeutscher Ofen“. Er war aus Schamottsteinen gemauert, sehr massiv und besaß nur einen Herd mit Direktbefeuerung. Da keine Temperatur angezeigt wurde, war sehr viel Erfahrung im Heizen erforderlich. War die Hitze erreicht, musste die restliche Glut aus dem Backraum entfernt werden und das Brot wurde in den Herd geschoben. Da man zum Backen unbedingt Dampf benötigt, wurden meist ein oder zwei Kannen Kartoffeln mit in den Herd gestellt, die dann meistens den selbst gezogenen Schweinen verfüttert wurden.

Den elterlichen Betrieb in der Friedhofstraße übernahm Philipps Bruder Ferdinand. Schwester Josefine und ihr Ehemann Eduard Harter führten in Rülzheim eine Bäckerei. Der jüngste Bruder, Wilhelm, betrieb mit seiner Ehefrau in Neustadt eine Bäckerei. Nesthäkchen Frieda machte sich mit Ehemann Fritz Stürtz aus Offenbach selbständig und hatten in Landau eine Bäckerei. Alle Betriebe sind jedoch inzwischen wegen fehlender Nachfolger usw. erloschen.

1909 kam Philipps einziges Kind Otto zur Welt. Dieser wollte zunächst kein Bäcker werden und begann eine Banklehre. Doch dann kam die Inflation nach dem 1. Weltkrieg. Das Geld verlor schneller an Wert als es gedruckt werden konnte. Mit der Schubkarre musste Otto die Banknoten zur Post bringen. Die Summen auf den Geldscheinen hatten so viele Nullen, wie man sie höchstens aus der Astronomie kennt. Unter diesen Umständen war es nicht sinnvoll die Banklehre fortzusetzen, und Otto erlernte bei seinem Vater den Beruf des Bäckers.

um 1925

Mitte der zwanziger Jahre erweiterte Philipp das Geschäft durch Anbau eines Café-Restaurants. Dies war eines der ersten im Kreis Germersheim. Den Kunden wollte man immer etwas Besonderes bieten. Eine breite Palette an Konditoreiwaren und selbst hergestelltes Speiseeis wurde angeboten. Schnell wurde das Café Fischer überregional bekannt. Die Kunden und Gäste standen immer an erster Stelle.

Die Lehrlinge wohnten damals selbstverständlich beim Lehrmeister und hatten Familienanschluss. Man übernahm automatisch die Rolle des Erziehers. Auch in der Berufsschule gab Philipp sein Wissen und Können an die Auszubildenden weiter. Er hatte zahlreiche Führungsfunktionen in Vereinen und Verbänden. Sein großer Bekanntheitsgrad öffnete ihm manche Tür und so konnte er der Kundschaft in der prekären Nachkriegszeit immer wieder Nahrungsmittel und Mehl besorgen um Brot zu backen. Der Backofen wurde nie kalt, aber diese Notsituation der Bevölkerung wurde von ihm nie ausgenutzt um sich persönlich zu bereichern.

Mitte der dreißiger Jahre war der nächste Backofen fällig. Es wurde ein moderner Dampfbackofen mit zwei übereinander liegenden Herden angeschafft. Der untere war der „Scharfe Herd“, hier wurde bei großer Hitze das Brot angebacken, während im oberen „Ausbackherd“ Feinbackwaren gebacken wurden. Über dem Ofen lag ein Wasserboiler, somit war immer heißes Wasser vorhanden. Um montags wieder backen zu können, musste sonntagabends stundenlang der Ofen vorgeheizt werden.

3. Generation um 1944 – Frieda + Philipp, Hedwig + Otto mit klein Heinz

Auch Sohn Otto liebte seinen Beruf sehr, erweiterte sein Können in guten Betrieben und machte 1934 die Meisterprüfung. 1939, nach der Heirat mit Hedwig geb. Klein aus Eschbach, stieg Otto mit ins Geschäft ein. Noch im selben Jahr brach der zweite Weltkrieg aus und Otto wurde zur Wehrmacht eingezogen. Die Kriegsjahre waren gekennzeichnet von großen Entbehrungen und ein Leben voller Sorge um die eingezogenen Söhne.
Philipps Unternehmungen während der Kriegszeit waren oft riskant. Bei einer Fahrt mit dem Pferdefuhrwerk, einem Fass Wein auf der Pritsche, wurden er und der Wagenlenker von einem Tiefflieger beschossen. Sie sprangen von dem Wagen, warfen sich in den Straßengraben und überlebten unverletzt, jedoch das Weinfass bekam Durchschüsse und lief völlig aus.

In der Nachkriegszeit wurden von den Alliierten sogenannte Brotmarken ausgeteilt, um den Mangel zu regulieren. Die Stadtbevölkerung war gezwungen aufs Land zu gehen, um sich Brot, Milch, Butter und Fleisch zu besorgen. Mit der inzwischen wertlosen Reichsmark konnte man nichts mehr kaufen und so war man gezwungen zu fuggern oder sich vieles auf dem Schwarzmarkt zu beschaffen. Der Tauschhandel blühte, manches Tafelsilber fand einen anderen Besitzer. Viele Menschen mussten hungern und für einen Teller Suppe oder ein paar Pfund Kartoffeln war man bereit persönliche Dinge einzutauschen. Zum Bäcker brachte man Mehl und als Gegenleistung bekam man einen Laib Brot. Andere machten zu Hause selbst den Brotteig, setzten den beim Bäcker geholten Sauerteig zu und brachten die Brote in großen Brotkörben zum Bäcker, um sie abbacken zu lassen. Dieses Brot nannte man „Kundenbrot“. Nachmittags konnte das gebackene Brot gegen einen Pfennigbetrag abgeholt werden. Die Berechnung bezog sich zunächst auf einen Laib, so war es nicht verwunderlich, dass manche Brote die Zehn-Pfund-Grenze überschritten.

Nach der Währungsreform 1948, als mit der Einführung der DM und der Verankerung einer echten Demokratie Ernst gemacht wurde, bekamen die Menschen Zuversicht, krempelten die Ärmel hoch und bauten mit viel Fleiß Deutschland wieder auf. In vielen Bereichen des Lebens fanden gravierende Veränderungen statt. Der technische Fortschritt war unglaublich rasant. Rechtzeitig zur Fußball-WM 1954 schaffte mein Vater Otto einen Fernseher an, einer der ersten in Rheinzabern. Mit großem Interesse verfolgte man im überfüllten Café Fischer das „Wunder von Bern“.

Heinz und Reiner 1964

1954 begann ich als 14-jähriger die Ausbildung bei meinem Vater und 1962

Gisela und Reiner 1964

erhielt ich mit 22 Jahren meinen Meisterbrief. Viele Jahre war ich in der Berufsschule als Praxislehrer tätig und später über 10 Jahre in der Meisterprüfungskommission der Handwerkskammer Kaiserslautern.

Einer der arbeitsreichsten Tage im Jahr war der „Rheinzammer Markt“. Das Geschäft stand schon Tage zuvor auf dem Kopf, um dem großen Andrang standzuhalten. Meistens wurden vorher noch 2 Schweine geschlachtet, die wir selbst aufgezogen hatten. Die Gäste saßen zum Essen im privaten Wohnzimmer, wenn das Café besetzt war. Vier Tage lang herrschte Ausnahmezustand, alles was Hände und Füße hatte, musste mithelfen. Hedwigs „russische Eier“ waren weit und breit bekannt. Zudem gab es Bratwurst, Leberknödel, gefüllte Hähnchen und andere Fleischgerichte. Man saß und feierte bis tief in die Nacht und um 3 Uhr morgens ging es in der Backstube wieder weiter.
Ein weiterer Höhepunkt im Geschäftsjahr war der „Weiße Sonntag“. In allen Räumen waren Kuchen und Torten verteilt und die Kunden holten ihre Backwaren mit Traktor und Anhänger ab. Es war Brauch, dass jeder, der dem Kommunionkind ein Geschenk brachte, einige Stückchen von dem Festkuchen mit nach Hause bekam.

1958 wurde Philipp für seine vielen Verdienste und Ehrenämter das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Philipp, Otto, Heinz und Reiner

1967 verstarb Philipp Fischer im Alter von 84 Jahren.
1971 musste der Dampfbackofen einem neuen Gas-Etagenbackofen Platz machen. Der Abriss des alten Ofens, der das Herz der Backstube war, setzte meinem Vater Otto so zu, dass er eine ganze Woche nicht in der Lage war zu arbeiten und das Bett hütete. Kein Wunder, wenn man ca. 35 Jahre täglich damit gearbeitet hat. An diesem Ofen hatte sich so mancher Nachbar über Winter sein Rückenleiden auskuriert und es wurde das ein oder andere Schwätzchen auf der Ofenbank gehalten.

1976 übergab mein Vater Otto an mich und meine Ehefrau Gisela geb. Wüst aus Rülzheim das Geschäft. Im Café wurden viele Vereinssitzungen abgehalten, die oft bis nach Mitternacht dauerten. Meine Frau saß nicht selten mit dem Strickzeug dabei und wartete geduldig bis auch der letzte Tropfen Wein getrunken war und morgens um 5 Uhr klingelte wieder der Wecker. Unsere drei Kinder wurden freitagabends oft zu meinen Schwiegereltern nach Rülzheim gebracht, da das arbeitsreiche Wochenende leider nicht viel Zeit für sie übrig lies.
In dieser Zeit entstanden auch die ersten großen Supermärkte auf der grünen Wiese, die der Bevölkerung ein bequemes 4 Generationen Komplettangebot unter einem Dach boten. Allmählich verschwanden immer mehr Lebensmittelgeschäfte, Metzgereien und Bäckereien. Man machte sich Sorgen um die Existenz und uns war klar: Nur Qualität und der besondere Kontakt zum Kunden werden unsere Zukunft sichern.

1979 begann unser Sohn Reiner mit 16 Jahren, in unserem Betrieb seine Lehre als Bäcker und legte 1982 mit sehr guten Leistungen seine Gesellenprüfung ab. Nach der Ausbildung arbeitete er in einer größeren Bäckerei/Konditorei in Ettlingen um neue Erfahrungen zu sammeln und seine fachlichen Kenntnisse auszubauen. 1987 durfte Reiner in Karlsruhe seinen Meisterbrief in Empfang nehmen. Drei Jahre später qualifizierte er sich, nach einem Teilzeitstudium, mit ausgezeichneten Leistungen, zum staatlich anerkannten Betriebswirt des Handwerks.

1985 verstarb mein Vater Otto, der mit Leib und Seele Bäcker war und bis zu seinem Tod in der Backstube mitarbeitete.

1987 wurden der Laden und das Café zum sechsten Mal umgebaut und neu gestaltet und wieder musste ein neuer Backofen angeschafft werden. Dieser bot nun auf 5 Etagen 10 qm Backfläche und war doppelt so breit als sein Vorgänger. Auf Initiative von Reiner begannen wir nun mit der Herstellung von Laugengebäck, da sich die Steinplatten des neuen Ofens optimal dafür eigneten. Mittlerweile sind die Brezel sehr beliebt und aus unserem Sortiment nicht mehr wegzudenken.

1990, nach dem Tod meiner Mutter Hedwig , wurde deren Wohnung in eine Pension mit 6 modernen Gästezimmern, alle mit Dusche, WC und TV, umgebaut. Damit wurde ein weiteres Standbein geschaffen.

2000 übergaben wir den Betrieb an die 5. Generation, unserem Sohn Reiner und seiner Ehefrau Judith geb. Kraus aus Hatzenbühl.
Judith ist im Verkauf tätig und nimmt, als gelernte Steuerfachkraft, Reiner sämtliche Büroarbeiten ab. Auch ihre beiden Kinder, Nadine 22 (Lehramtstudium) und Dominik 18 (kurz vorm Abitur), helfen bei Engpässen in der Ferienzeit natürlich aus. Ob es eine 6. Bäckergeneration gibt, steht noch in den Sternen.
Wie zu Opa Philipps Zeiten, legen auch sie großen Wert auf handwerkliches Können und traditionelle Rezepturen. Nur so kann man sich von der industriellen Massenware abheben. Heutzutage müssen komplexe Veränderungen gemeistert werden und es ist nicht immer einfach, die vielfältigen Kundenwünsche zu erfüllen. Deshalb muss Tradition mit einer gewissen Menge Innovation verknüpft werden.
Als ich 1954 in die Lehre kam, hatte Rheinzabern 2700 Einwohner mit 6 Bäckereien. Heute zählt der Ort rund 4900 Einwohner und wir sind noch der einzige backende Betrieb. Für ihre Zukunft wünschen wir, die Eltern, unseren Nachfolgern alles erdenklich Gute.

Zum Schluss möchte ich mich, auch im Namen meiner Frau Gisela, und im Namen von Reiner und Judith, bei allen ehemaligen und noch aktiven Mitarbeitern ganz herzlich bedanken. Ohne ihren zuverlässigen Einsatz könnte ein Betrieb nicht über 5 Generationen am Leben erhalten werden. (insgesamt ca. 90 Mitarbeiter, davon 37 Auszubildende)

 

Café-Fischer-Team im Jubiläumsjahr 2008

v.l. Reiner u. Judith Fischer, Tobias Müller, Azubi Lena Geisser, Klaus Hick, Elke Schmitt, Azubi Andreas Dudenhöfer, Nadine Fischer, Dominik Fischer, Claudia Pfau, Gisela u. Heinz Fischer

 

Besonderer Dank ergeht an Sie, liebe Kunden, für Ihr Vertrauen und Ihre Treue, für jedes nette Gespräch und jede konstruktive Kritik, für jedes Lob und jedes freundliche Lächeln.